Die sieben Todsünden & Mahagonny Ein Songspiel – ein Kurt Weill Abend im Treibhaus in Innsbruck

DATUM: 5. Juli 2023
ZEIT: 20:00
VERANSTALTUNGSORT: Treibhaus Innsbruck

»aufgebrochen vor vier Wochen nach den großen Städten, um das Glück zu versuchen«

Der Aufbruch – nicht ganz freiwillig.
Anna wird von ihrer Familie (Männerquartett) durch Amerika getrieben, die auf ihre Kosten ein bequemes Leben führen will.

Faulheit, Stolz, Zorn, Völlerei, Unzucht, Habsucht und Neid – hier sind die Lebens- und Leidensstationen der jungen Anna, die unter den Belastungen ihrer unmenschlichen Umwelt bereits zerbrochen ist – und sich schizophren wahrnimmt (Anna 1 und II = Sängerin & Tänzerin).

Anna I leidet unter dem Selbstoptimierungswahn unserer Zeit, nachdem Motto: „Da geht noch etwas mehr an Einsatz und Selbstaufgabe“.  Anna II, die zu mindest anfänglich ihre Werte kennt, bricht letztendlich unter dem Druck ihres Alter Egos zusammen. Sie opfert sich selbst auf dem Altar des Mammons und am Ende leider auch ihr Glück, während ihre Familie singt: »Der Herr erleuchte unsere Kinder, daß sie den Weg erkennen, der zum Wohlstand führt: daß sie nicht sündigen gegen die Gesetze, die da reich und glücklich machen.«

Wie schnell sich fleißige Bürger und Bürgerinnen doch von sich selbst entfremden und sie sich schwuppdiwupp! in Doppelmoral aufspalten. Diese Doppelmoral, die finden wir heute genauso wie damals, vor 100 Jahren, als „die sieben Todsünden“ in Paris Prämiere feierten. Für diese reiste Berchtold Brecht extra aus dem Schweizer Exil an, um das Exempel an den beiden Annas zu statuieren: wie eine Person, deren Arbeitskraft auf dem freien Markt nicht viel gilt, in zwei Rollen zerfällt, in die der Ware und die der Sich-Selbst-Ausbeutenden.

Ein Statement gegen antisemitischen Hass und nationalsozialistische Verfolgungswut. Ein Beweis gelebter Toleranz. Denn hatten sich hier nicht zwei in ihrer Heimat nun verachtete Intellektuelle noch einmal zur Zusammenarbeit vereint? Zwei Querdenker, deren Wege sich bereits getrennt hatten – und zwar wegen eigentlich unüberbrückbarer Differenzen? Aber der Komponist Kurt Weill war über seinen Schatten gesprungen und hatte Bertold Brecht eingeladen, das Libretto zu diesem denkwürdigen Gesamtkunstwerk zu schreiben.

Hinter den Kulissen jedoch schien man – wie zum Trotz – allen Lastern gleichzeitig zu frönen. Kurt Weills Ehefrau Lotte Lenya, die die Hauptrolle der Anna 1 sang, befand sich in Begleitung ihres Liebhabers, des Tenors Otto Pasetti, den der Gatte freundlicherweise mit einer Rolle bedacht hatte. Sie stürzte sich in eine heiße Affäre mit der Tänzerin Tilly Losch, der Darstellerin der Anna 2, deren Mann, der britische Multimillionär Edward James, das Stück aus seiner Portokasse finanzierte. Kurt Weil wiederum turtelte mit der Frau des Bühnenbildners Caspar Neher. Kurz gesagt: in den Wochen, in denen „Die sieben Todsünden“ in Paris auf dem Spielplan standen, ließ es das Ensemble wohl ziemlich krachen. Ein Tanz auf dem Pulverfass. Denn die größte Gefahr stellte damals beileibe nicht der vergleichsweise harmlose amerikanische Kapitalismus dar. Sie ging von dem grausamen Regime aus, das sich kurz zuvor in Berlin etabliert hatte.

„Mahagonny Songspiel“ hatte der junge wilde Weill 1927 beim Festival Deutsche Kammermusik in Baden-Baden vorgestellt. Die Songs darin basieren auf Texten von Bertolt Brecht, die er einige Jahre zuvor in dem Gedichtband „Hauspostille“ veröffentlich hatte. „Mahagonny“ ist hier der Name für eine Stadt. Der Name wurde eher aus klanglichen Gründen gewählt. So heißt es im Singspiel am Schluss:

„Mahagonny – das gibt es nicht. Mahagonny – das ist kein Ort. Mahagonny – das ist nur ein erfundenes Wort.“

Der Mond leuchtet auf jeden Fall geheimnisvoll über dem Staate Alabama (wie es der berühmteste Song aus diesem Spiel beschwört), in dem man (so Brecht) eigentlich etwas faul war. Doch das ahnten Brecht und Weill nur von weitem, am Ende der Goldenen Zwanziger Jahre in Deutschland. Sie sollten dem Rassismus in den US-Südstaaten bald näher kommen, auf der Flucht vor dem Rassismus in ihrer Heimat. Da hatten sich die beiden allerdings schon überworfen. Brecht-Weill – diese Kombination funktionierte nicht lange. Die Früchte dieser Zusammenarbeit allerdings bleiben für die Ewigkeit.
Wie die Lieder Franz Schuberts.

Anna I
Elisabeth de Roo

Familie
Tenor I Filipp Modestov
Tenor II Achim Schurig
Bariton Emil Ugrinov
Bass Vsevolod Ryurikp

Windkraft – Kapelle für Neue Musik
Dirigent Kasper de Roo

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