Gesang und Text Elisabeth de Roo
Klavier Vyara Shuperlieva
Regie Thomas Lackner
Produktionsleitung Susanne Weissbacher
Foto Andreas Gilgenberg
Grafik Hannah Achrainer
Für die Ausarbeitung eines zeitgemäßen Liederabends bekam ich 2022 ein Arbeitsstipendium vom Land Tirol. Dieses Stipendium beinhaltete unter Anderem das Erstellen eines Textes. Um diesen erstellen zu können, habe ich mit Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern in Österreich und Deutschland Interviews geführt. Mich interessierten die Menschen hinter dem Beruf der Sexarbeiter*in. Es entstand das Stück:
„Elisabeth de Roo: kein leichtes Mädchen. Käuflicher Liederabend.“
Die gleicherweise erschütternden wie berührenden Erzählungen dieser Menschen hab ich in einen Monolog zusammengefasst und diesen mit Kunstliedern verstärkt oder reduziert. Die einzelnen Berichte der Sexarbeiter*innen fließen so zu einem Handlungsstrang zusammen und werfen auch auf die verwendeten Kunstlieder einen ganz eigenen Schatten. Aus den Ausführungen der interviewten Sexarbeiter*innen entstand die Geschichte einer jungen, alleinerziehenden und hochverschuldeten Mutter, die in der Sexarbeit eine Möglichkeit sieht, ihrer hoffnungslosen Situation entfliehen zu können. Anfangs gelingt es ihr ihren Beruf vor ihrem privaten Umfeld zuverbergen, doch dann fragen sie ihre Kinder : „Mama, was sind Hurenkinder?“. Der entwürdigende Begriff „Hurenkinder“ ist für mich deshalb so erschütternd, weil er offensichtlich auch im 21. Jahrhundert immer noch Anwendung findet. Ich verfolge das Ziel „die Seele“ und die Verletzlichkeit das Menschen zu zeigen, die mir ihre Geschichten erzählt haben und dem klassischen Liederabend eine neue Aufführungsform bieten.
Das Thema Sexarbeit beschäftigt mich schon lange. Hauptsächlich deshalb, weil ich oft in der Früh um 05:00 Uhr den Zug von Innsbruck nach Salzburg nahm. Beim meinem Weg zum Bahnhof kam ich immer wieder am Innsbrucker Straßenstrich vorbei (den es damals noch gab). Mein anerzogenes Bedürfnis allen und jeden zu grüßen, führte dazu, dass ich auch die Sexarbeiterinnen grüßte. Sie grüßten zurück und aus dem Gruß wurde ein „Wie gehts?“ und hin und wieder ein kurzes Gespräch und die Frage, wie es den Kindern oder der Familie geht.
Im Rahmen des Stipendiums wollte ich erfahren: Was sind das für Menschen? Welche Träume haben sie, welche Schwierigkeiten? Besonders beschäftigte mich aber der teilweise sehr schwere bis unmögliche Ausstieg aus der Sexarbeit.
Eine Sexarbeiterin sagte mir: „Der Ausstieg aus der Sexarbeit ist nicht deshalb so schwer, weil fiese Zuhälter mich nicht gehen lassen (dies wäre nämlich keine Sexarbeit, sondern Menschenhandel und somit eine Straftat), sondern weil die Gesellschaft es mir schwer macht. Die meisten von uns schämen sich für ihren Beruf und wissen einfach nicht, was sie bei einem Vorstellungsgespräch auf die Frage: „Wo haben Sie die letzten Jahre gearbeitet?“ antworten sollen. „Und wenn wir es dann doch sagen, will uns niemand mehr haben.“ Diese Worte berührten mich und beschäftigten mich noch lange.
Ich sage voller Freude: „Ich bin Sängerin.“. Sexarbeiter*innen wagen es meist nicht auszusprechen, welchem Beruf sie nachgehen. Sie fürchten die gesellschaftliche Ausgrenzung, die Stigmatisierung. Diese Tatsache macht mich betroffen.
Kunstlieder sind, wenn man so will, die Popsongs der klassischen Musik. Kurze Stücke erzählen in wenigen Minuten die großen und kleinen Geschichten unseres Lebens.
Viele Monate begleitet mich nun das Thema Sexarbeit. Nicht selten, wenn ich meinen Bekanntenkreis an meinen Überlegungen teilhaben lies, entstand eine abendfüllende Diskussion. Dabei viel mir auf, in welch fahlem Licht viele Menschen Sexarbeiter*innen sehen, ohne jemals selber wissentlich mit einer/einem Sexarbeiter*in gesprochen zu haben. Das Kunstlied hingegen erstrahlt für mein Umfeld im goldenen Glanz der klassischen Musik; dabei beschreibt es nicht selten in schönen Worten unsere tiefsten menschlichen Abgründe. Diesen scheinbaren Kontrast zwischen dem Kunstlied und der Sexarbeit finde ich unheimlich eindrucksvoll.
„Die Engel Gottes sagen dieweil in stiller Nacht, wie rote Augen drangen Metalle aus dem Schacht. UND WÄRS DOCH MEIN“ (Johan von Eichendorff/Robert Schumann)
Die Lieder helfen meiner Figur, der Sängerin und Sexarbeiterin Felicitas, ihre verschiedenen Gefühlszustände auszudrücken und zugleich beschreiben sie die einzelnen Momente und die sich aufspannenden Abgründe in ihrem Leben.
Bei Wilhelm Schlegels Schmetterling, vertont von Franz Schubert, beneidet Felicitas die jungen Mädchen und Burschen, die ausgehen und sich ausprobieren: „Immer schöner glänzen meine bunten Flügel, immer süsser hauchen alle kleinen Blüthen. Ich nasche die Blüthen, ihr könnt sie nicht hüten“. Ihr Scham und ihre Angst, als Sexarbeiterin enttarnt und öffentlich bloß gestellt zu werden, drückt sie in Friedrich Rückert’s Worten aus: „Blicke mir nicht in die Lieder, meine Augen schlag ich nieder. Wie er tappt auf böser Tat.“, vertont von Gustav Mahler. Und wenn Sara Teasdale schreibt: „let it be forgotten, as a flower is forgotten, forgotten as a fire that once was burning gold.“, eine Komposition von Georg Crumb, fleht sie das Leben an, Dinge ungeschehen zu machen, oder sie zumindest vergessen zu dürfen. Ein Wunsch, der für Felicitas nicht in Erfüllung geht.
Foto: Andreas Gilgenberg